Zweiter Weltkrieg Reparationsforderung
Griechenlands 476-Millionen-Anleihe gibt es nicht
Mit einer Anleihe aus dem Zweiten Weltkrieg begründet Athen eine Milliardenforderung an Deutschland. Die Prüfung der Akte R 27320 aber zeigt: Die Zahlen meinen etwas gänzlich anderes.
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Im Schuldenstreit mit Deutschland führt die neue griechische Regierung immer wieder Forderungen aus dem Zweiten Weltkrieg ins Feld. Konkret soll es um eine Anleihe im Wert von 476 Millionen Reichsmark gehen, die der NS-Staat dem Land zinslos abverlangt habe. Sie sei niemals zurückgezahlt worden.
Die Summe von 476 Millionen wird als Begründung für verschiedene Forderungen an die Bundesregierung herangezogen. Heute sollen diese einen Wert von mindestens fünf Milliarden Euro haben. Laut den Griechen selbst wäre sie sogar elf Milliarden wert.
Doch ein Blick ins Archiv – auf die originalen Quellen – wirft ein neues Licht auf die Geschichte. Das überraschende Ergebnis: Es gab überhaupt keine deutsche Anleihe in diesem Wert. Es gab nur die Forderung nach Besatzungskosten, die Griechenland zu tragen hatte.
Das zeigt eine 251 Blatt starke Akte mit der Signatur R 27320, die einst im Bundesarchiv angelegt wurde, aber heute im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes liegt. Sie ist nicht geheim, sondern kann problemlos bestellt und eingesehen werden.
Woher kommt die „Deutsche Restschuld“?
Von besonderem Interesse in der Akte R 27320 ist das Blatt 114, von dem die Zahl 476 Millionen Reichsmark stammt. Dort wird eine kurze Rechnung aufgemacht – aus den von Griechenland getragenen Besatzungskosten, abzüglich von nicht erklärten Abschlägen und deutschen Rückzahlungen an das Land. Unterm Strich ergibt sich daraus eine als „Deutsche Restschuld“ bezeichnete Summe von 476 Millionen. Es handelt sich also eindeutig weder um einen Kredit noch um eine Anleihe, sondern um einen errechneten Betrag.
Gegen diese Schuld, so der Schluss eines gewissen Oberregierungsrats Nestler, müssten aber die unentgeltlichen deutschen Einfuhren nach Griechenland gerechnet werden. Sie hätten einen Wert von 300 Millionen Reichsmark erreicht, weisen die Berichte in der Sendung von Reichsbankdirektor Paul Hahn an seinen Chef aus. Allerdings ist aus den beigefügten Anlagen nicht erkennbar, worauf sich diese Berechnung nun wiederum stützt.
Eine solche Rechnung aufzugreifen sollte man sich freilich im heutigen Deutschland besser verkneifen. Sie wäre angesichts der Verwüstungen und zahlreichen Gewaltverbrechen der Besatzungsmacht geradezu unanständig und würde nur die Emotionen in Griechenland weiter aufpeitschen.
Es genügt, festzustellen, dass es sich bei den 476 Millionen Reichsmark eben nicht um eine irgendwie geartete „Anleihe“ gehandelt hat. Diese Deutung geht auf den Historiker Hagen Fleischer zurück, die der Emeritus der Universität Athen mit griechischem und deutschem Pass in Interviews etwa mit der ARD ausgeführt hat.
Vorsichtigerweise setzt Fleischer Wörter wie Kredit oder Anleihe in diesem Zusammenhang meist in Anführungszeichen, jedenfalls in der auf der Website veröffentlichten schriftlichen Form. Trotzdem sieht er darin eine Rechtsgrundlage für griechische Forderungen von rund zehn Milliarden Euro. Diese Summe ergebe bei einer moderaten Verzinsung die kaufkraftadäquate Umrechnung.
Keine vollstreckbaren Ansprüche
Doch das ist eine sehr einseitige Quellenlektüre, wie der Historiker Götz Aly zu Recht moniert. Bevor man Fakten bewertet, muss man sie zunächst einmal feststellen. Und die Akte R 27320 des Politischen Archivs enthält eben keinen Hinweis darauf, dass es sich bei den 476 Millionen Reichsmark um etwas anderes als um Besatzungskosten handelt.
Nun war es seinerzeit kriegsvölkerrechtlich zulässig, Besatzungskosten dem besetzten Land aufzuerlegen; daraus allein ist kein Anspruch abzuleiten, schon gar nicht einer, der auch nach mehr als 70 Jahren noch umgesetzt werden könnte.
Möglicherweise anders wäre es bei einem förmlichen Kredit gewesen. Er könnte mindestens theoretisch noch offene Forderungen Griechenlands an Deutschlands begründen – wenn es ihn denn gegeben hätte.
Zwar könnten im Rahmen von Reparationsverhandlungen die Besatzungskosten formal doch eingefordert werden. Doch alle Reparationsansprüche sind seit dem Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990, den auch Griechenland völkerrechtlich bindend zur Kenntnis genommen hat, erledigt.
Niemand kann die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht in Griechenland 1941 bis 1944 ernsthaft bestreiten. Das wäre angesichts der zahlreichen verfügbaren Quellen auch töricht. Vollstreckbare Ansprüche kann Griechenland daraus aber nicht ableiten. Deutschland hat seit 1946 im Rahmen des Pariser Reparationsabkommens Güter geliefert, später zinsgünstige Sonderkredite bereitgestellt, 1960 eine Pauschalabgeltung für NS-Opfer oder deren Angehörige bezahlt und viele Milliarden Mittel aus europäischen Töpfen für Athen freigegeben. Diese Werte sind jedoch weitgehend versickert.
Author: Dawn Perry
Last Updated: 1703634006
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